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Der Mensch – geschaffen, gefallen und wieder hergestellt

1. Gottes Schöpfung – der Mensch im Urzustand

Der Mensch ist Geschöpf Gottes. Aber nicht nur die Tatsache, dass der Mensch geschaffen wurde, sondern auch das Wie und Wozu geben Aufschluss darüber, wer der Mensch ist. An dieser Stelle können wir natürlich nur einige Aspekte andeuten. Nach 1. Mose 1,26-27 und 1. Mose 2,7 lässt sich sagen, dass der Mensch sowohl von seinem Ursprung her als auch bezüglich der Zielsetzung zum Bild Gottes geschaffen wurde. Mit Ausführungen über seine materielle und geistige Beschaffenheit wird ihm auch eine Zweckbestimmung gegeben: er wird zum Botschafter Gottes auf Erden. Gegenüber der übrigen Schöpfung repräsentiert er den lebendigen Schöpfer, er ist der „König der Erde“ (Erich Sauer).

Die Frage, die Theologen stets beschäftigt hat, ist, worin diese „Ebenbildlichkeit“ (oder einfach, wie manche Theologen es vorziehen, die „Bildlichkeit“) besteht. Die Bedeutung zäläm (lat. imago, griech. eikon) ist primär Bild, Abbild, Abbildung. Das andere Wort, demuth (lat. similitudo, griech. homoiosis), bedeutet Gleichung, Gestalt, Nachbildung, Ähnlichkeit.1

Der Versuch einiger griechischer und lateinischer Kirchenväter, in ersterem den körperlichen Bereich („Abbild“, konkrete Ähnlichkeit) und in letzterem Begriff (abstrakte Ähnlichkeit) mehr den sittlichen Aspekt der Gottebenbildlichkeit zu sehen, ist aus der Begriffsbildung heraus nicht gerechtfertigt.2 Die beiden Begriffe verstärken sich und heben hervor, dass der Mensch als Bild, als Gleichnis für Gott, geschaffen wurde. Damit sind die Parameter für die grundlegende Wesensbestimmung des Menschen gelegt: Der Mensch widerspiegelt innerhalb der Schöpfung das Wesen Gottes, ohne dabei mit Gott identisch zu sein. Er ist geprägt von der Abhängigkeit gegenüber seinem Schöpfer. Gott schuf sich also ein Gegenüber, zu dem er reden konnte, das ihn verstand und seine Pläne und Absichten in besonders hervorragender Weise vertreten konnte. Wenn der Mensch sich von Gott anreden lassen kann, dann liegt darin seine Würde und Bedeutung.

Alle Modelle, die den Menschen partikular betrachten („Triebwesen“, „animal rationale“ etc…) verkennen die Bedeutung dieser Dimension des Menschen, der ein von Gott zu Erreichender ist. Letztlich will sich Gott immer beim Menschen Gehör verschaffen. Der am Wort Gottes ausgerichtete Seelsorger, wird dies zu keinem Zeitpunkt der Beziehung zu einer ratsuchenden Person außer Acht lassen. Auch nach dem Sündenfall bleibt der Mensch formal ein im Bild Gottes Geschaffener.3

Ein anderer Gesichtspunkt, der sich aus den Aussagen des Schöpfungsberichts ergibt, ist die wesensmäßige Einheit des Menschen. Der Mensch wurde eine lebende Seele (hebr. näphäsch chajah), was bedeutet, dass es nicht Gottes Absicht war, einem unsichtbaren Teil des Menschen eine sichtbare Hülle zu geben, sondern dass der sichtbare und der verborgene Mensch aufs Engste zusammengehören. Zur Gottesebenbildlichkeit gehören eine geistige Dimension sowie der Leib.4 Dies geht auch aus anderen Zusammenhängen hervor. Wer den Leib tötet, vergreift sich am „Bild Gottes“ – ebenso, wer den Menschen mit Worten verletzt.5 Sowohl seine moralische, also auch seine geistigen Fähigkeiten sowie sein Ichbewusstsein, die Fähigkeit zur Kommunikation mit sich, mit anderen, all das macht die Einzigartigkeit des Menschen aus. Die Kommunikationsfähigkeit scheint nach dem biblischen Zeugnis eine besonders herausragende Eigenschaft zu sein, die den Menschen als das Gegenüber Gottes auszeichnet, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen.6

Ein weiterer Aspekt dieser schöpfungsmäßigen Dimension ist, dass der Mensch dazu berufen ist, seinem Schöpfer Liebe, Ehre, Dank und Anbetung zu erweisen (Röm 1,18-23). Wenn der Mensch nicht mehr auf den Schöpfer bezogen denkt, dann wird es sich ein anderes „Gegenüber“ suchen, d.h. der Mensch wird zum Götzendiener.7 Diese Glaubensdimension des Menschen kann nicht fein säuberlich von anderen Bereichen seines Lebens getrennt werden. Nicht erst wenn der Mensch selbst von seiner Religion spricht oder spezifisch religiös handelt ist er religiös. Alle Ebenen seiner Werte, Überzeugungen, sein Fragen nach Sinn und Bedeutung sind letztlich ein Ausdruck seiner Religiosität. Er kann seine Herkunft nicht wirklich leugnen, nur verzerren und den Schöpfer durch ein horizontalisiertes, anthropozentrisches, säkulares Denken entehren. Es gibt aber keine wirklich neutralen Bereiche, die nicht „religiös“ besetzt werden müssen. Das hat zur Folge, dass alle Denk-, Gefühls- und Willensvorgaben eines Menschen auch einer ethisch-glaubensmäßigen Dimension unterworfen werden. Der Mensch darf und soll sich immer auch seinem Schöpfer gegenüber verantwortlich wissen. Er soll sich seiner religiösen Vorurteile und Prägungen bewusst werden und unter das Wort des lebendigen Gottes kommen, so dass er seine Identität begreifen kann.

Fazit

Der von Gott geschaffene Mensch ist nicht abstrakt, d. h. ohne diesen Bezug zu erklären. Wenn der biblische Offenbarungsrahmen ernst genommen wird, dann zeigt das den Menschen als eine Einheit. Die Arbeit an einer biblisch ausgerichteten Psychologie wird sich deshalb immer diesem „Ganzheitlichkeitsmodell“ des Menschen verpflichtet wissen.

2. Der gefallene Mensch

Die zweite grundlegende Dimension des Menschen ist sein gefallener Zustand. Seine grundlegende Verantwortlichkeit wird dadurch unterstrichen, dass Gott ihn nach seinem Abfall persönlich sucht und zur Rechenschaft zieht. Gott spricht zum Menschen, als dieser sich vor ihm verbirgt („…wo bist du?“8). „Wenn wir Christen … von der Sünde sprechen, dann nehmen wir den Menschen in seiner Würde und Verantwortlichkeit als ein zurechnungsfähiges Gegenüber Gottes ernst.“9

Das Wesen des Menschen wurde auf mehrfache Art betroffen:

1) Im Bericht vom Abfall des Menschen10 von Gott greift der Mensch ach der Frucht des Baumes der „Erkenntnis des Guten und Bösen“. Dieser Griff wird mit dem Anspruch verbunden, „sein zu wollen wie Gott“. Die Erkenntnis, um die es geht, ist prinzipiell ethisch11 , d.h., der Mensch macht eine konkrete Erfahrung mit dem Bösen; er übertritt faktisch ein göttliches Gebot, widerspricht also aktiv dem Willen Gottes. Die damit verbundene Aussicht, die die Schlange gibt, „ihr werdet sein wie Gott“, wird zum Leitmotiv des autonomen Menschen. Ihm wird darin suggeriert, er könne Gott als Gegenüber umgehen und sich autonom bewegen. Tatsächlich ändert sich die Gottesbeziehung mit dieser Handlung: der Mensch erfährt eine Autonomie, die aber leidvoll als tödliche Trennung von seinem Schöpfer erfahren wird.12 Letztlich stehen alle philosophischen und geistigen Ansprüche des Menschen, außerhalb der Gottesbeziehung Lösungen zu suchen, im Dienste dieser ursprünglichen Autonomiebewegung. Sie enthalten aber auch gleichzeitig die Aussage, dass der Zugang zum wahren Leben versperrt ist. Es kann kein vom Menschen erdachtes oder erschaffenes Paradies geben!

2) Sünde wird biblisch als Gesetzlosigkeit beschrieben.13 Das Gesetz als Ausdruck des Willens Gottes sowie seines Charakters, seiner Überzeugungen, ist für den Menschen, der in seinem Bild geschaffen ist, immer gut und richtig. Die Bibel vertritt deshalb keine Situationsethik; es gibt lediglich situative Anpassungen, die einem pädagogischen Handeln Gottes entsprechen, aber keine Normverletzungen zum Maßstab machen.14 Sünde ist mangelnde Übereinstimmung mit dem guten Willen Gottes. Der Mensch ist ein Gesetzesübertreter. Deshalb dürfen die ethischen Aspekte aller Arten von Problemlösungen nicht ausgeklammert werden.

3) Die Folgen der Sünde führen für alle Nachkommen Adams zu einer neuen Seinsbestimmung.15 Er lebt in einem „Sein zum Tode“. Der Mensch als solcher ist schuldig und ererbt eine sündige Natur, die ihn nicht mehr fähig macht, nicht zu sündigen („non posse non peccare“)16. Die Sünden, die der Mensch begeht, betreffen nicht nur seine Beziehung zu Gott (genauso wenig wie nur sein Geist etwas mit seiner Beziehung zu Gott zu tun hat), sondern auch alle anderen Beziehungsebenen (zu den Mitmenschen, zur Schöpfung, zu sich selbst, zu seiner Geschlechtlichkeit).

Daraus ergibt sich unter anderem: Die Sünde, in der der Mensch gefangen ist, ist nicht wirklich nur ein angelerntes Fehlverhalten, das durch Lernprozesse wieder rückgängig gemacht werden kann.17 Unterschiedliche Dimensionen von Fehlverhalten, Denkfehlern, Willens­problemen und Gefühlskonflikten lassen sich im Wesentlichen durch die vielfältigen Schattierungen und graduellen Erweiterungsmöglichkeiten dieses „Seins zum Tode“ erklären. Es gibt durchaus ein Mehr oder ein Weniger an Sünde auf der horizontalen Ebene. Kain steigerte den Abfall von Gott, indem er seinen Bruder umbrachte.18

Fazit

Mit dem Sündenfall ging nicht die Gottesebenbildlichkeit des Menschen an sich verloren. Das bedeutet, dass der an den Menschen gerichtete Anspruch, dieses Bild Gottes widerzuspiegeln, nicht aufgehört hat; der Mensch wurde kein Tier, er blieb Mensch in seiner Wesensbestimmung! Gleichzeitig ist aber nichts übrig im Menschen, was noch als heil oder ganz gesehen werden kann. Der Mensch als Ganzes ist ein Sünder, ein Feind Gottes, der sich nicht unter Gottes Ordnung stellen will.19 Jeder Anspruch, sich und die Welt ohne Anerkennung des Schöpfers heilen zu wollen, ist ein Versuch, diesem Dilemma zu entkommen. Aber der Mensch verlor die vitale Beziehung zu seinem Schöpfer und damit auch das Recht, sein Repräsentant auf Erden zu sein. Gott selber nahm aber den Schöpfungsakt nicht zurück, sondern hielt an dieser Vorgabe fest, den Menschen zu seinem Verwalter auf Erden zu machen. Er stellte den Menschen aber unter die Vorschatten des Gerichts. D.h., er ließ auch den gefallenen Menschen unter neuen Bedingungen in dieser Verantwortung. Die Nachkommen Adams widerspiegelten dieses gebrochene Bild; sie waren im Bild Adams als des gefallenen Menschen.20 Der dreifache Tod des Menschen (geistlich, Beginn des physischen Todes und ewig)21 zeigt, dass der Mensch unter dem Gericht Gottes lebt. Gott traf einige Maßnahmen, die dem Menschen helfen sollen, sich dieser Situation bewusst zu werden und dadurch daran erinnert zu werden, dass er nicht in einer idealen Welt, sondern einer Welt, die diesem Unheilszustand Rechnung trägt, leben muss. Aus dieser Situation der Unvollkommenheit, die nicht mit dem ursprünglichen Willen Gottes übereinstimmt, ergeben sich viele Ansätze um den Auftrag, hier und heute Hilfe für den ganzen Menschen zu bieten, richtig einzuordnen. Zentral bleibt festzuhalten, dass der Mensch sich selbst nicht wirklich helfen kann. Unordnung und Leiden, Todesverfallenheit und damit verbundene Krankheit, sind immer auch ein Ruf, zu dem Ursprung und Schöpfer aller Dinge zurück zu kehren. Dieser Ruf darf nicht durch säkularisierte Heilungsversprechen oder anthropozentrierte Ersatzmaßnahmen außer Kraft gesetzt werden.

3. Der neue Mensch

Auch die Heilsabsicht Gottes zielt auf den ganzen Menschen. 22 Als Jesus dokumentierte, dass das messianische Zeitalter mit seinem Kommen angebrochen war, zeigte er dies durch das Heilen und Befreien der Menschen in einem umfassenden Sinn23 und bewies dadurch seine messianische Sendung: der Messias wird die Schöpfung erneuern – und er fängt bei seinem direkten „Ansprechpartner“ bezüglich seiner Schöpfung an, dem Menschen. Dieser muss allerdings ganz neu und von Grund auf seinen Bezug zum Schöpfer wieder finden.

Allerdings ist der erste Schritt dazu nicht primär die leibliche, sondern die geistliche Zurechtbringung.24 Es gibt ein Primat der geistbezogenen Gottesbeziehung, die aber nicht mit einer Abwertung oder Verachtung der leiblichen Existenz einher geht.25 Der Körper und auch das Innere des Menschen – Verstand, Wille, Gefühl, Motivation etc. – werden dabei nicht von einer geistlichen Bedeutung des Menschen abgekoppelt oder könnten eine unabhängige Behandlung erfahren.26

Die Bibel spaltet die Wirklichkeit nicht in einen Bereich auf, der Gott entzogen ist und einen, zu dem Gott Zugang hat. Vielmehr ist er der Herr der ganzen Erde, die er dann auch zu seiner Zeit erneuern wird.27 Für die Gegenwart gilt: Begrenzungen, Einschränkungen, Erfahrung von Leid und Schmerz, werden nicht glorifiziert („Märtyrerkomplex“), müssen aber trotzdem als etwas gesehen werden, was auch geduldet und getragen werden muss und nicht einfach immer überwunden werden kann. Partielle Heilung, Hilfe ist möglich, das Tragen der Last, das Vermitteln der Barmherzigkeit Gottes steht nicht im Widerspruch zu der Aussage, dass wir in einer gefallenen Situation leben. Es ist nur wichtig, dass der Prozess der Veränderung wiederum nicht eine Sache säkularer Heilungsmethoden sein kann, wenn es um die geist-seelisch-leibliche Einheit des Menschen geht. Der Christ hat vielmehr die Sicht, dass sein Menschsein bereits im Hier und Heute auf die neue Schöpfung Gottes angelegt ist.

Diesem Anspruch, diesem Auftrag, kann und darf sich der Seelsorger im Gegensatz zu einem auf die Immanenz angelegten Therapeuten an keiner Stelle entziehen. Er teilt seine Existenz nicht auf, genauso wenig wie der Chirurg den Menschen, den er vor sich sieht, nur als „Lunge“ oder als „Hüftgelenk“ wahrnehmen sollte (wenn dies auch im Sprachgebrauch der OPs manchmal so scheinen mag). Das heißt nicht, dass es nicht methodische Zwischenwege geben könnte. Sie dürfen aber keine Eigendynamik entfalten und als methodisches Gesetz kein Korsett für das souveräne Handeln Gottes darstellen. Nach biblischem Verständnis dient der Leib schon jetzt dazu, mit der geistig-seelischen Erneuerung konform zu gehen, auch wenn er ein unvollkommenes „Werkzeug“ ist. Der Widerspruch zwischen sterblicher Existenz und dem Wissen um das ewige Leben, wird schmerzlich erfahren, aber auch als große Herausforderung für die praktische Heiligung 28 gesehen. Dazu dient der einzig vollkommene Mensch, der in der Geschichte aufgetreten ist, das ist Christus, als Maßstab.

Er ist aber auch der Inhalt dieser Erneuerung: Der Christ ist ein Mensch, der sich analog zur Person Christi entfaltet, weil Christus zuerst Herr der Gemeinde ist, dann aber auch Herr der ganzen Schöpfung. Dies spiegelt sich in der Art und Weise wider, wie alle Lebensbereiche und -bezüge auf Christus hin angelegt sind.29 Das Bild Gottes im Menschen, der Mensch als im Bild Gottes geschaffen, wird nicht „an sich“ wiederhergestellt, sondern als Neuschöpfung in Christus.30 Der Römerbrief im 5. Kapitel thematisiert die Abhängigkeit des natürlichen Menschen von diesem ersten Menschen, Adam, und weist auf die Abhängigkeit der neuen, erlösten Menschennatur, den zweiten Adam hin. Entsprechend wird für die christliche Seelsorge ein völlig neuer Zusammenhang sichtbar: Der Mensch „in Christus“ ist ein konkretes Gegenüber, keine rein „spirituelle“ Angelegenheit. Paulus bezieht das auf seinen gesamten Dienst und seinen Umgang mit den Menschen, die nicht mehr nach ihrer natürlichen, von Gott losgelösten Voraussetzungen verstanden werden, sondern aus dem Dienst der Versöhnung heraus, den Gott selbst eingeleitet hat.31

Aus all diesem folgt, dass der Mensch, dessen „Seele“ gesund werden soll, aus biblischer Sicht in allen Phasen, in denen er sich befindet, diesem Prozess untergeordnet werden müsste. Nicht der Seelsorger sorgt sich um die Seele des Menschen, sondern er vermittelt die Zusammenhänge der gebrochenen Existenz des Menschen auf verständliche Art und Weise, so dass sowohl in der Diagnostik als auch bei der Hilfestellung der Zugang Gottes zum Herzen des Ratsuchenden nicht versperrt wird. Mit anderen Worten, dem Wort Gottes Raum zu geben, dass es gehört, verstanden und angenommen wird, ist die oberste Priorität, will man den Menschen als ein im besten biblischen Sinn „geistliches Gegenüber“ nicht verlieren.

Eine humanistische, säkularistische oder anthropozentrische Sicht vom Menschen, die den Menschen als ein entwicklungsfähiges, steuerbares Wesen zeigt, unternimmt dagegen den Versuch, aufgrund einzelner Erfahrungsaspekte einen Weg zu zeigen, wie die Folgen des Sündenfalls teilweise aufgehoben werden können. Der biblisch motivierte Seelsorger weiß um die Begrenztheit aller menschlichen Hilfe und wird sowohl das Wort als auch die Diakonie (dazu gehört auch der Bereich der Humanmedizin) in den Dienst dieses Auftrags stellen wollen. Lebenserleichterung und -hilfe haben keinen Selbstzweckcharakter, sondern sind Zeugnis von der umfassenden Fürsorge Gottes für den Menschen. Leiden, auch schwerere geistig-seelische Störungen sind eine Anfrage, wie und wo der Gott des Lebens eingreifen kann und bringen den Schrei nach umfassender Erlösung mit sich. Wann und wo nun praktische Hilfen, Aufklärung, Trost, Rat, Ermutigung zu geben sind, das alles wird zunächst durch den schöpfungsbezogenen und heilsgeschichtlichen Bezug vorgegeben und kann mit Erfahrungswissen und Einsicht in somatische und innerseelische Zusammenhänge32 verbunden werden.

  1. vgl. S. Külling, fundamentum 3/82, SS. 5-6 ↩︎
  2. 1.Mo. 5,3 ist von der Ähnlichkeit und Abbildlichkeit Seths gegenüber Adam die Rede. Hier werden beide Begriffe umgekehrt verwendet. ↩︎
  3. 1.Mo. 9, 6; 1.Kor. 11,7; Jak.3,9; Apg. 17,28 ↩︎
  4. s. z.B. 1.Kor. 15,44: der Körper kann – eschatologisch – zu einem ‚geistlichen Leib’ umgestaltet werden ↩︎
  5. 1.Mo. 9,6; Jak. 3,9 ↩︎
  6. Spr. 20,27: Der Geist des Menschen ist eine Leuchte des HERRN, durchforscht alle Kammern des Leibes,
    vgl. Joh. 4,24; Röm. 8,16; 1.Kor. 2,10-13 ↩︎
  7. Thomas Schirrmacher zeigt in seiner Ethik (Bd.1, Hänssler-Verlag, Neuhausen-Stuttgart, 1994, S. 36-37) auf, dass nach Röm. 1,20-23.25 der Mensch „Gott nicht die Verehrung verweigern“ kann, „indem er sich auf neutrales Gebiet zurückzieht, sondern nur, indem er an die Stelle des Schöpfers etwas anderes stellt, das er verehrt.“ ↩︎
  8. 1.Mo. 3,9; vgl. 4,9 ↩︎
  9. Kettling, Siegfried: Wer bist du, Adam? Brockhaus-Verlag, Wuppertal 19792 ↩︎
  10. 1.Mo. 3 ↩︎
  11. So S. Külling, Genesis 18.Teil, fundamentum 2/1985, S. 11 ↩︎
  12. s. 1.Mo. 3,22, wo Gott tatsächlich sagt, dass der Mensch geworden ist „wie unsereiner“. Aber ihm wird
    gleichzeitig die Möglichkeit genommen, am „Baum des Lebens“ Anteil zu haben. ↩︎
  13. Joh. 3,4; Jak. 2,9-10; Röm. 2,12-14; Röm. 4,15 ↩︎
  14. Ein Beispiel wäre die im Alten Testament teilweise tolerierte Polygamie, die aber niemals zur Norm erklärt
    wurde. Jesus macht deutlich, dass der ursprüngliche Gesetzeswille hinsichtlich der Ehe in der Schöpfungsgeschichte zu suchen ist (Matth. 19,3-9). ↩︎
  15. Röm 5,12 Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die
    Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben. ↩︎
  16. Hiob 4,14; Jer. 17,9; Jes. 6,5; Röm. 8,5-8; Eph. 4,17-19 ↩︎
  17. Thomas Schirrmacher meint in seiner Ethik I (a.a.O., S.38): „Der Gedanke, dass man den Menschen durch
    Bildung verbessern und die Übel der Menschheit durch intellektuelle Aufklärung beseitigen könne, ist eines der Grundprobleme der griechischen Philosophie, des Humanismus und der Aufklärung.“ ↩︎
  18. 1Jo 3,12: nicht wie Kain, der von dem Bösen stammte und seinen Bruder umbrachte. Und warum brachte er ihn um? Weil seine Werke böse waren und die seines Bruders gerecht. ↩︎
  19. S. Jer. 17,9 ↩︎
  20. 1.Mo. 3,17-19; 5,1-4 ↩︎
  21. Mo. 2,17; 1.Mo. 3,22-24; Röm. 5,12; 1.Kor. 15,21; Offenb. 21,8 ↩︎
  22. 1.Thess. 5,23: „Gott…heilige euch völlig..Möge euer Geist, Seele und Leib untadelig bewahrt werden…“ ↩︎
  23. Luk. 4,18, zit. Jes. 42,7 ↩︎
  24. Röm. 8,23 spricht von der „Erstlingsgabe des Geistes“ während Christen dann umso klarer wissen, dass sie auf die „Erlösung des Leibes“ warten können. ↩︎
  25. 2.Kor. 4,16 unterscheidet Paulus den „äußeren“ und den „inneren“ Menschen, wobei er die Leidenserfahrung des ersteren mit der Erneuerungserfahrung des letzteren in Beziehung setzt. ↩︎
  26. S. hierzu die Ausführungen von Roland Antholzer zum Thema Dichotomie-Trichotomie an späterer Stelle ↩︎
  27. Ps. 47,3; Sach. 14,9. Dabei gilt sicher, dass der Leib ebenso wie diese irdische Schöpfung durchaus eine
    Sonderstellung einnimmt: er wird als letztes erlöst und muss sich bis zu seiner Neuschöpfung mit vorläufigen Lösungen zufrieden geben. An dieser Stelle ist auch die medizinische Wissenschaft gefordert, ebenso wie der Staat eine Bedeutung hat für das Gemeinwohl und die Erhaltung der Erde. Dies zu erörtern würde den Rahmen hier sprengen. ↩︎
  28. Unter dem Begriff der Heiligung versteht die Bibel den Prozess des Einswerdens mit Christus auch in der
    praktisch-lebensbezogenen, zeitlichen Existenz (s. z.B. Röm. 6,11-13 „…stellt eure Glieder nicht der Sünde zur Verfügung… sondern stellt euch Gott zur Verfügung.. als Lebende“ ). Der bereits gerechtfertigte kann diese Aufforderung als Konsequenz seines geschenkten neuen Seins in Christus verstehen. ↩︎
  29. Eph. 4,15 macht diesen Zusammenhang exemplarisch deutlich: „in Wahrheit reden“ hat damit zu tun, dass das „Haupt“ Christus, die Mitte und das Ziel der Gemeinde ist. Aktuelle Veränderungen in der Struktur des Denkens und der Kommunikation sind also nicht technische Veränderungen oder gelernte Verhaltensweisen, sondern entsprechen der begonnenen Neuschöpfung des Menschen in Christus. Dazu dienen die auf praktische Veränderung zielenden Forderungen des Neuen Testaments, die keine neue Gesetzlichkeit vermitteln, sondern im Rahmen der heilsstiftenden Erneuerung der Herrschaft Christi zu sehen sind. ↩︎
  30. Der Zusammenhang zwischen Kol. 3,10 (vgl. Eph. 4,24), wo das Bild des „Anziehens“ des „neuen Menschen“
    verwendet wird und seine ähnliche Formulierung mit Gal. 3,27, wo dieser Mensch Christus selbst ist, lässt darauf schließen, dass es dem Apostel Paulus darum geht, die Wiederherstellung des Bildes Gottes im Menschen ganz und gar christologisch zu deuten: Christus ist der neue Mensch und die Erneuerung des Menschen kann nur Christusähnlichkeit bedeuten. ↩︎
  31. 2.Kor. 5,15-18: „…daher kennen wir niemand mehr nach dem Fleisch….wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung..“ ↩︎
  32. Roland Antholzer: „Geist, Seele, Leib – der Mensch in seiner Beschaffenheit“, S. 3: Die Bedeutung des
    dichotomen Menschenbildes für die Seelsorge. ↩︎