Was meinen wir eigentlich, wenn wir von Digitalisierung sprechen? Zunächst mal ist es ein technischer Begriff, der den Übergang von analoger zu digitaler Verarbeitung und Speicherung von Daten beschreibt. Dieser Prozess begann schon vor vielen Jahrzehnten und hat Stück für Stück eine gesellschaftliche Dimension bekommen. Die Existenz von Computern, Smartphones und insbesondere dem Internet hat neue Rahmenbedingungen geschaffen, in denen wir Menschen leben. Und das hat uns verändert – als Gesellschaft und als einzelne Menschen. Im Umgang mit diesem Thema ist es daher entscheidend, dass wir uns bewusst werden, worin genau diese neuen Rahmenbedingungen bestehen. Nur dann können wir zu einem richtigen Umgang damit finden. Die technische Dimension ist an sich neutral. Computer sind Werkzeuge, die weder gut noch böse sind – genauso Smartphones und das Internet. Die neuen Rahmenbedingungen, die durch diese Werkzeuge ins Leben gerufen sind, konfrontieren uns hingegen mit Fragen, die eine ethische/soziale/geistliche Dimension zwischen „gut“ (Chance!) und „böse“ (Gefahr!) haben.
Mir scheint, dass die entscheidende Veränderung in der Aufhebung (oder Verschiebung) von Grenzen besteht. Zum einen können wir mit Computern so viele Daten speichern, wie wir wollen, ohne dass es signifikante Kosten erzeugt. Hast du nicht auch zehntausende Fotos auf deiner Festplatte? Oder unzählige Predigt-Aufnahmen, Notizen, Bücher? Die, wie ich denke, entscheidende Grenzverschiebung kommt durch das Internet. Was den Kontakt zu anderen Menschen angeht (und den Zugriff auf ihre Daten), gibt es nun kaum geographische, politische, soziale, finanzielle oder zeitliche Grenzen mehr.
Grenzen sind ein wichtiger Teil der Schöpfung, sie sind von Gott gegeben uns zum Guten, zum Schutz: „wobei er festgesetzte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnung bestimmt hat, dass sie Gott suchen“ (Apg 17,26-27).
Gerade für uns westliche Christen ist es wahrscheinlich eine wichtige Lektion, Grenzen als etwas Positives zu begreifen. Wir sind gesellschaftlich geprägt von einer Überbetonung von Produktivität und Effizienz. Natürlich muss man hier differenzieren („Kauft die Zeit aus“), aber ich denke für unseren Umgang mit den neuen Möglichkeiten einer digitalen Welt scheint mir hier ein guter Ansatzpunkt zu sein, was unsere persönliche Haltung betrifft. Konkret:
- Ja, ich kann mir live den Gottesdienst von meinem Lieblingsprediger streamen, aber ich ziehe es vor in der lokalen Gemeinde in einem begrenzten Beziehungsgefüge gemeinsam geistlich zu wachsen.
- Ja, ich bin dankbar für die fast unbegrenzte Anzahl an (auch guten!) Ressourcen, auf die ich von überall und jederzeit zugreifen kann. Was für ein Segen, dass die KI mir jetzt sogar die Kernaussagen von Autoren zusammenfassen kann, die sich nicht kurzfassen können. Aber ich passe auf mein Herz auf, dass es sich nicht erhebt zu denken, ich hätte dadurch schon etwas erkannt (1.Kor 8,2). Vielleicht setze ich mich sogar lieber mit einem guten Freund zusammen und gehe in einen persönlichen Austausch, lasse mich hinterfragen und ringe gemeinsam um Antworten.
- Ja, es ist schön, wie leicht es ist mit einem Status-Update alle meine Kontakte zu erreichen und wie leicht es ist bei Allen auf dem Laufenden zu bleiben. Aber ich setze einen Fokus darauf, mich den Menschen zu öffnen, mit denen Gott mich zusammengestellt hat und ihnen in besonderer Weise Anteilnahme und Wertschätzung entgegenzubringen.
Grenzen helfen unsere Aufmerksamkeit auf das zu lenken was wichtig ist – und nach Apostelgeschichte 17,27 ist das letztlich Gott selbst. Grenzen halten auch Ablenkungen oder Böses von uns fern. Keine der negativen Folgen von Digitalisierung sind im Einzelnen neu. Es gab schon immer Verführung, Lüge, Propaganda, Mobbing, Selbstdarstellung, Pornographie, Oberflächlichkeit, Ablenkungen. Es ist die durch die technischen Mittel ermöglichte Grenzen- und Maßlosigkeit all dieser Dinge, die uns letztlich in großem Maßstab vereinsamen, verrohen, verflachen, verdummen, verunsichert und verängstigt werden lassen. Von daher liegt ein Fallstrick in dieser schönen neuen digitalen Welt und wir müssen diesen grenzenlosen Möglichkeiten mit einem klaren Blick auf Gottes gute Gedanken für uns begegnen.
Grenzverschiebungen sind nicht neu in der Menschheitsgeschichte. Schon immer gab es technische oder politische Entwicklungen, die die Rahmenbedingungen des Lebens signifikant verschoben haben. Dabei war immer wieder auch eine mögliche Reaktion der Christen, sich in seine eigenen Grenzen zurückzuziehen – denken wir z.B. an die Amisch-Gemeinschaft. Diese Strategie ermöglicht zu einem gewissen Grad die Abwehr von schlechten Einflüssen, aber es beseitigt nicht die Existenz der genannten Übel an sich. Eine reine Vermeidung von Gefahr greift zu kurz – oder in einem anderen Sinn zu weit. Ich habe oben von „neuen Rahmenbedingungen“ gesprochen in denen wir leben. Wir sind vom Herrn Jesus Christus in der Welt gelassen und in die Welt gestellt. Ich denke an das Gebet von Jesus in Johannes 17,15-18:
„Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen. Sie sind nicht von der Welt, wie ich nicht von der Welt bin. Heilige sie durch die Wahrheit! Dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie in die Welt gesandt.“
Jesus ist in diesem Gebet bewegt von der Sorge um uns – er hat das Böse der Welt vor Augen. Es wäre ja absolut eine Möglichkeit für Gott, jeden Gläubigen zu sich zu holen – oder zumindest in die soziale/physische Absonderung von der Welt zu berufen. Wäre das nicht eine angemessene Maßnahme eines heiligen Gottes für sein heiliges Volk? Ist es nicht bemerkenswert, dass er explizit darum bittet, dass sie nicht aus der Welt – aus dem Einfluss und der Konfrontation mit dem Bösen – weggenommen werden? Er vertraut sie in dieser Hinsicht dem Vater an – seiner Bewahrung und der Heiligung durch sein Wort. Er weiß um das Böse, aber er sendet die Gläubigen hinein (natürlich nicht in das Böse selbst, sondern in die Welt) und das meint letztlich in das Umfeld von Menschen, die die Wahrheit noch nicht erkannt haben. Beachten wir auch, welche Strategie Jesus hier für uns im Sinn hat: Heiligung durch sein Wort. Wenn wir klar im Blick haben, worauf es in Gottes Augen ankommt, werden wir die richtigen Grenzen im Umgang mit Social Media, Digital Church oder Künstlicher Intelligenz finden können. Gotteserkenntnis führt zu Medienkompetenz.
Die Welt hat sich verändert. Dass sie sich nicht zum Besseren verändert, braucht uns nicht zu überraschen und es ist auch irrelevant für unsere Fragestellung hier. Wichtig ist ein klarer Blick für das, was in Gottes Augen wichtig ist: Dass wir da sind, wo die Menschen sind. Dass wir für sie wahrnehmbar sind. Ja, wir können beklagen, dass die Aufmerksamkeitsschwelle der Menschen drastisch abgenommen hat. Oder wir können uns stattdessen auf das konzentrieren, worauf es in Gottes Augen ankommt: Dass die Menschen dieser Welt, in der wir nun mal leben, mit uns und Gottes Wahrheit in jeder möglichen Weise in Berührung kommen.
Ich kann mich gut erinnern wie ich als Teenager Mitte der 90er als junger Christ die ersten Berührungen mit dem damals für den Mainstream neuen „World Wide Web“ hatte. Für mich war von Anfang an klar: Das ist eine Tür zu Menschen. Mich hat begeistert, dass ich von meinem Zimmer aus in der Lage war, in Kontakt mit Menschen auf der ganzen Welt zu kommen. Diese Begeisterung hat mich in den letzten 30 Jahren nicht verlassen – und das hat sicher etwas mit meiner persönlichen Berufung zu tun. Aber die Welt ist seitdem nicht stehengeblieben. Für die nächste Generation nach mir waren Internet und soziale Medien schon ein zentraler Teil ihrer Lebenswirklichkeit. Die Generation meiner Kinder wird zusätzlich mit einem alltäglichen Umgang mit künstlicher Intelligenz aufwachsen. Wir dürfen uns von dem Wort „virtuell“ nicht täuschen lassen – ein signifikanter Teil der realen Wahrnehmung von realen Menschen läuft über digitale Kanäle. Und auf die Menschen kommt es an. Natürlich leben gesunde Beziehungen von der echten physischen Begegnung, denn dafür sind wir gemacht. Aber wir dürfen auch nicht an der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorbeileben. Ein großer Teil der Wahrnehmung von Menschen (auch in der Gemeinde) spielt sich in der digitalen Wirklichkeit ab. Heute im Jahr 2023 kommen wir daran nicht vorbei. Wer sich nicht mit diesen Neuerungen beschäftigt, wird die Lebenswirklichkeit junger Menschen, auch junger Christen, nicht mehr verstehen.
Anmerkung: Ich rede hier von uns als Christen im Allgemeinen, nicht von dem persönlichen Einzelfall, wenn jemand aus persönlichen und seelsorgerlichen Gründen einen bestimmten Umgang oder Nicht-Umgang mit bestimmten Medien und Technologien pflegt.
Ich möchte im Folgenden zeugnishaft von meiner Arbeit mit der Emmaus-App berichten, einer Bibelkurs App, die wir im Rahmen der Zentral-Afrika-Mission (ZAM) in den letzten Jahren entwickelt haben.
Ich zitiere aus einem Gastbeitrag für das aktuell erscheinende ZAM-Journal von Jim Fleming, dem internationalen Koordinator von Emmaus Worldwide:
Ich glaube, dass sich das Evangelium auf der App in Römer 10,17-18 widerspiegelt:
„Demnach kommt der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort. Aber ich frage: Haben sie es etwa nicht gehört? Doch, ja! Ihr Schall ist ausgegangen über die ganze Erde, und ihre Worte bis ans Ende des Erdkreises.“
Paulus zitiert hier Psalm 19,5 im Zusammenhang mit den Himmeln, die die Herrlichkeit Gottes in der ganzen Welt verkünden. In diesem digitalen Zeitalter ertönt Gottes Stimme durch den Himmel auf eine neue, großartige Weise – sein geschriebenes, kraftvolles Wort erreicht die Smartphones von Menschen an so vielen Orten, wie auch die Sterne von seiner Existenz berichten. Der „Schall“, die vollständige schriftliche Offenbarung Gottes, ist über die App „bis ans Ende des Erdkreises“ zugänglich.
Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit war dies möglich – jetzt ist es das! Meine Leidenschaft als Internationaler Koordinator ist es, die EMMAUS-App so weit wie möglich zu fördern und zu unterstützen und für ihr Wachstum, ihre Entwicklung, ihre Reichweite und ihre Zugänglichkeit „auf der ganzen Erde“ zu beten. Zur Ehre Gottes und zur Rettung von Seelen!
Was ist der Hintergrund für so eine enthusiastische Aussage von einem kurz vor der Rente stehenden Koordinator eines alten Missionswerkes? Manche kennen wahrscheinlich die Emmaus Bibelkurse. Eine Arbeit mit langer Tradition, die schon vielen Menschen zum Segen wurde. Natürlich hat man hier in den letzten Jahrzehnten die oben besprochenen Änderungen gespürt. Wenngleich in manchen Teilen der Welt hier immer noch ein riesiger Bedarf besteht, so ist doch global spürbar, dass die Nachfrage nach gedruckten Fernbibelkursen sinkt. Besonders in den letzten Jahren hat sich dieser Trend zugespitzt. Ein großer Teil der Menschen ist über diesen Weg überhaupt nicht mehr zu erreichen. Insofern ist die Emmaus-Arbeit ein klassisches Beispiel für ein geistliches Werk im Spannungsfeld der Digitalisierung.
Die Emmaus App begann als kleine Initiative innerhalb der ZAM während der Flüchtlingskrise ab 2015. Es war schwierig mit Print-Kursen in Flüchtlingsheimen zu arbeiten, außerdem brauchte man das Material in vielen Sprachen. Ein Smartphone hatte jeder und so war eine App der nächste Weg zu den Menschen. Fast Forward 2023: Die App dient als Missions- und Jüngerschaftswerkzeug auf der ganzen Welt in verschiedenen Kontexten: von der Nutzung als Hilfsmittel zum Bibelstudium in einem Teenie-Kreis bis hin zum Erreichen und Betreuen von Menschen in verschlossenen Ländern. Das anfängliche Anliegen ist immer noch das gleiche: einen Weg zu den Menschen finden um ihnen die Bibel nahezubringen und sie beim Studium zu unterstützen. Immer mehr Teams auf der ganzen Welt haben sich dem App-Projekt angeschlossen und Kurse in ihrer Sprache integriert, Werbung gemacht und Studenten betreut. Bald gibt es die App in 30 Sprachen und in 188 verschiedenen Ländern gibt es schon Studenten, die mindestens einen Kurs abgeschlossen haben. Mittlerweile haben wir rund 12.000 aktive Studenten jeden Monat – eine Verdoppelung zum Vorjahr.
Aber solche Zahlen erzählen natürlich nicht die ganze Geschichte. Zurecht kann und soll man hinterfragen, was echte geistliche Auswirkungen sind. Insbesondere auf dem Hintergrund der Bedenken, die wir oben schon bzgl. digitaler Medien behandelt haben. Ein Kernelement der Emmaus-Arbeit war immer die persönliche Korrespondenz. Wir ermöglichen den Studenten, die Kurse auch für sich zu studieren, das persönliche Mentoring sehen wir aber als Schlüsselelement der App, das das Projekt auch von anderen in seiner Ausrichtung unterscheidet. Jeder fünfte Student, der einen Kurs abschließt, nimmt diese Möglichkeit wahr und tritt in einen persönlichen Austausch über den Glauben mit einem realen Mentor. Wenn wir das bisherige Nutzerverhalten interpolieren können wir sagen, dass von all den Menschen, die an einem Tag neu auf die App stoßen, mehr als zehn schließlich mit einem Mentor in Kontakt kommen. Weiter können wir abschätzen, dass jeden Tag im Schnitt ein bis zwei Studenten dabei sind, die schließlich ein komplettes Programm von 12 Kursen mit persönlicher Begleitung abschließen werden. Das wäre ein Weg die Wirkung der Emmaus App zu beschreiben: Jeden Tag erreichen wir mindestens eine Person irgendwo auf der Welt, die schließlich 12 Kurse je zehn Lektionen abschließen wird und die Inhalte währenddessen mit einem Mentor bespricht.
Wie oben schon angesprochen ist das Ziel letztlich, dass Menschen in einer lokalen Gemeinde Beziehungen eingehen und dort geistlich wachsen. Das ist für so ein App-Projekt natürlich eine Spannung. In vielen Sprachen gibt es kaum Material mit guter biblischer Lehre, oder Studenten haben keinen Kontakt zu Gemeinden oder Christen. Aber wir wollen Menschen nicht von uns oder gar einer App abhängig machen. Daher versuchen wir, die Betreuung eines Studenten so lokal wie möglich zu verteilen. Optimal ist es, wenn es direkt von einer Gemeinde vor Ort passiert. Studenten können sich dann in der App direkt mit einem lokalen Mentor verbinden. Gemeinden, Organisationen, Hauskreise oder Missionare können die App auch so als Werkzeug in ihrem Dienst einsetzen.
Die Emmaus-App ist ein Beispiel für ein digitales Werkzeug, das Türen zu Menschen öffnet, die sonst ungeöffnet blieben. Letztlich geht es ja nicht um digital oder nicht, um App oder Buch, sondern darum, dass wir den Menschen dort begegnen, wo sie sind.
Wer sich gerne mehr über die Emmaus App informieren will oder Interesse hat sich einzubringen, kann das unter info.emmaus.app tun. Die App herunterladen kann man unter emmaus-app.com.