Wenn man in einer missionarischen Gemeindearbeit steht und neue Gemeinden aufbaut, wird man immer wieder gefragt: “Habt ihr aus der Kirchengeschichte nichts gelernt? Die Gemeinde, die ihr jetzt aufbaut, wird in 100 Jahren auch nicht anders sein, als die Gemeinden der Gegenwart.”
Man muss diese Herausforderung ernst nehmen und sich mit der Geschichte der organisierten Kirche beschäftigen. Dabei macht man dann einige interessante Feststellungen, die eine Antwort auf die oben erwähnte Frage geben und die auch vom Wort Gottes bestätigt werden.
Ein geistliches Zerfallsgesetz
Die Gemeinde Jesu Christi ist beides: geistlicher Organismus und menschliche Organisation. Jede menschliche Organisation, die Kirchen eingeschlossen, unterliegt einem Zerfallsprozess. Der Anfang der meisten christlichen Organisationen ist gut, obwohl auch da schon manchmal das Unkraut unter dem Weizen ist (vgl. Mt 13,24-30).
Spätestens in der zweiten Generation eines christlichen Werkes (Gemeinden eingeschlossen) entstehen Probleme. Die Begeisterung und Einsatzfreude der ersten Generation fehlen oft. Abweichungen in der Lehre häufen sich. Trägheit und Gleichgültigkeit machen sich breit. Der Glanz der Neuheit erlischt.
Unveränderliche Traditionen
Jede irdische Organisation, die organisierte Kirche eingeschlossen, widersteht Versuchen der Veränderung oder Erneuerung. Veränderung traditioneller Wege ist schwer. Die Tradition wird zu einem wichtigen Erbgut.
Traditionen gewinnen auch an Autorität. Bald ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, bis Traditionen die Autorität der Schrift verdrängen (vgl. Mt 15,16-9; Luk 11,39-52).
Institutionalisierung
Bald wird die Organisation wichtiger als die einzelnen Menschen in der Organisation. Das Fortbestehen der Institution wird zu einem wichtigen Ziel.
Die Mitarbeiter dienen in erster Linie der eigenen Organisation und nicht mehr dem Herrn Jesus Christus. Sie werden Gefangene vorgeschriebener Arbeitsweisen. Eigeninitiative fehlt. Die Liste der Regeln, um „den richtigen Ablauf der Arbeit” und die notwendige Leistung zu sichern, wird länger, und die Arbeitsmoral sinkt.
Die Mitarbeiter entwickeln ihre eigenen Interessen innerhalb der Organisation. Oft bauen sie konkurrierende Abteilungen auf. Das einheitliche Ziel der Organisation verschwindet hinter einer Menge beziehungsloser Kleinziele. Die schöpferische Kraft der Mitarbeiter geht verloren.
Die protestantische Reformation
Die Kirchengeschichte kann wenig echte Erneuerungen ohne Absonderung oder Spaltung aufweisen. Der Versuch der Erneuerung führt meistens zur Abspaltung. Luther und Calvin wollten keine neuen Kirchen gründen. Sie versuchten, die bestehende Kirche zu erneuern. Der kirchliche Widerstand gegen diese Erneuerungsversuche führte zur Entstehung der protestantischen Kirchen.
Für viele ernste, bibeltreue Christen ging die Reformation (Abspaltung) Luthers nicht weit genug. Sie wollten zurück zu den Quellen der apostolischen Urgemeinde. Luthers junge, protestantische Kirche ließ sich jedoch nicht reformieren (erneuern). Notwendigerweise entstanden neue Abspaltungen, die zur Entstehung der Freikirchen führten.
Die Kirchen des zwanzigsten Jahrhunderts
In vielen Kirchen der Gegenwart hat die bibelkritische Theologie die Herrschaft errungen. Traditionen und Bekenntnisse stehen über der Heiligen Schrift. Ernstgemeinte Versuche der Erneuerung erfahren den gleichen Widerstand, den schon Martin Luther von Seiten der damaligen Kirche erfahren hat. Eine Rückkehr zu einem neutestamentlichen Gemeindeverständnis und einer neutestamentlichen Gemeindepraxis erscheint unmöglich. Der einzige Ausweg, der bleibt, ist der Aufbau von neuen Gemeinden nach dem Vorbild des Neuen Testaments.
Einheit und Spaltung
Der zerrissene und zerspaltene Zustand der Christenheit ist kein Zeugnis für den Herrn Jesus Christus. Was Paulus von den Juden des ersten Jahrhunderts schrieb: „Eurethalben wird Gottes Name gelästert unter den Heiden“, beschreibt heute die Christenheit.
Die Verantwortung für die Spaltungen in der Christenheit liegt bei denen, die von der biblischen Lehre abweichen: Judas schrieb: „Ich hielt’s für nötig, euch in meinem Briefe zu ermahnen, den ihr für den Glauben kämpft, der ein für alle Mal den Heiligen übergeben ist“ (Judas 3b). Paulus schrieb: „Achtet auf die, die da Zertrennung und Ärgernis anrichten entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt, und weicht von ihnen“ (Röm 16,17b, vgl. Jud 17-19).
Christen gegen Christen?
Es gibt Christen, die der Meinung sind, durch ihr Verbleiben in einer von der Heiligen Schrift abgewichenen Gemeinde, ihre Gemeinde retten zu können. Manchmal sind sogar kleine, örtlich begrenzte Erfolge sichtbar. Es muss jedoch bedacht werden, dass da, wo die Grundstrukturen einer Gemeinde der Bibel widersprechen, kleine und örtlich begrenzte Erfolge der Gemeindeerneuerung nicht ausreichend sind, und dass etablierte Kirchen der Erneuerung ihrer Grundstrukturen unüberwindbaren Widerstand leisten.
Leider sind es gerade diese Christen, die oft die Neugründung biblisch orientierter Gemeinden in liebloser und unchristlicher Weise bekämpfen, Wäre es nicht besser, solche Fragen auf der Basis der Heiligen Schrift zu lösen?
Gemeindezucht und Absonderung
Das Neue Testament sagt sehr viel über Gemeindzucht. Irrlehrer und Christen, die unordentlich wandeln, sollen ernstlich ermahnt werden. Ermahnung, privat und in der Gemeinde, dient der Zurechtbringung (Mt 15,15-18: Gal 6,1-2; 2Kor 13,11; 1Thess 3,10; Hebr 10,23-25).
Wo Zurechtbringung in Liebe nicht mehr möglich ist, ist es notwendig Abstand zu nehmen, d.h. im Irrtum beharrende Gemeindeglieder auszuscheiden. Auch das soll in Liebe mit dem Ziel der Zurechtbringung geschehen (1Kor 5,1-5.9-13; 2Kor 6,14-18; 2Thess 3,6,14-15; 1Tim, 6,3-5 [“von solchen halte dich fern” Schlachter]; 2Tim 3,1-5; Tit 3,10: 2Joh 9-11).
Wo zurechtbringende Ermahnung und Gemeindezucht nicht praktiziert wird, nimmt der Unglaube und Irrtum innerhalb der Gemeinde überhand. Da bleibt dann nichts anderes übrig, als sich von solch einer Gemeinde zu lösen, sich einer bibeltreuen Gemeinde anzuschließen, oder für die Entstehung einer neuen bibeltreuen Gemeinde zu beten und zu arbeiten.