Beide Artikel von Hernandes Dias Lopes sind aus dem wertvollen Buch „Der Anspruch des Hirtendienstes” (siehe Seite 10) entnommen. Wir danken dem CMV-Verlag, Bielefeld, herzlich für die Abdruckerlaubnis. Die Redaktion
Die Berufung zum Hirtenamt ist die erhabenste aller Berufungen. John Jowett sagt in seinem Buch The Preacher, His Life and His Work, dass die pastorale Berufung nicht eintritt, wenn man versucht, Medizin zu studieren, und die Prüfung nicht besteht, es mit dem Ingenieurswesen probiert und keinen Erfolg hat, an die Tür eines anderen Studiengangs klopft und ebenfalls scheitert, und dann zu dem Schluss kommt, dass Gott die Tür des Pastorendienstes öffnet. Im Gegenteil: Pastorale Berufung bedeutet, dass alle anderen Türen offen sind, man sich aber nur danach sehnt, durch die Tür des Dienstes einzutreten. Berufung ist wie unsichtbare Handschellen. Der Ruf Gottes ist unwiderruflich und nicht übertragbar. Wenn er ruft, ruft er wirksam!
Gott beruft verschiedene Menschen, in verschiedenen Lebensumständen, in verschiedenen Altersstufen, für verschiedene Ämter. Er rief Jeremia im Bauch seiner Mutter. Er rief Jesaja zur Zeit einer nationalen Krise. Er rief Petrus, nachdem dieser geheiratet hatte. Er rief Paulus, als dieser die Gemeinde verfolgte.
Der Prophet Jeremia sagt, dass Gott derjenige ist, der seinem Volk Hirten nach seinem Herzen gibt (Jeremia 3,15): „Und ich will euch Hirten nach meinem Herzen geben, die sollen euch weiden mit Erkenntnis und Einsicht.“ Der Hirte ist kein freiwilliger Helfer, sondern eine von Gott berufene Person. Sein Dienst wird nicht gesucht, er wird empfangen (vgl. Apostelgeschichte 20,24). Seine Berufung ist nicht irdisch, sondern himmlisch (Apostelgeschichte 26,19). Seine Motivation gründet sich nicht auf menschliche Vorteile, sondern auf die Erfüllung der göttlichen Ziele.
Es ist eine große Gefahr, den Hirtendienst mit anderen Zielen oder Motivationen anzutreten. Der Dienst ist keine Erfolgsbühne, sondern eine Arena des Todes (vgl. 1. Korinther 4,9). Der Dienst ist keine Künstlergarderobe, in der wir uns Masken aufsetzen und eine Rolle annehmen, die sich von dem unterscheidet, was wir wirklich sind, sondern er ist ein Arbeitsfeld, dessen Kern die Heiligkeit ist. Das Leben des Hirten ist das Leben seines Dienstes. Das Pastorenamt ist keine Plattform der Privilegien, sondern ein Feld des Dienstes; es ist kein Jahrmarkt der Eitelkeiten, sondern ein Ort der demütigen, aufopfernden Arbeit.
Das Ideal des Dienstes anzunehmen, bedeutet, andere Ideale aufzugeben. Ich war von Mutterleib an Gott geweiht. Meine Mutter war mit einem schrecklichen Dilemma konfrontiert. Sie musste zwischen ihrem Leben und meinem wählen. Ihre Risikoschwangerschaft ließ ihr keine Wahl. Der medizinischen Prognose zum Trotz gab sie Gott ein Gelübde: Wenn der Herr ihr und mein Leben verschonen würde, würde sie mich für den Dienst weihen. Gott erhörte ihr Gebet, und ich wurde geboren. Meine Mutter bewahrte dieses Gelübde in ihrem Herzen und betete beständig zum Herrn, dass Gott mich in den Dienst rufen würde. Sie erzählte mir nichts von ihrem Gelübde, um mich nicht zu beeinflussen. Mein Traum seit meiner Kindheit war es, Anwalt und Politiker zu werden. Seit meiner Kindheit verpasste ich keine einzige Wahlveranstaltung. Ich hörte den Rednern aufmerksam zu und begeisterte mich immer mehr für eine politische Karriere. An dem Tag, an dem ich 18 wurde, bekam ich meine Wahlkarte und trat einer Partei bei. Mein Verstand war aufgewühlt und mein rastloses Herz sehnte sich leidenschaftlich danach, in dieses Leben einzutreten. Aber Gott hatte Wohlgefallen daran, mein Leben zu berühren und mich in den Dienst zu rufen, bevor ich 19 wurde. Ich habe sofort meine Träume aufgegeben und mich auf Gottes Bestimmung eingelassen. Heute würde ich den Dienst gegen kein anderes Privileg eintauschen. Ich weiß, dass es keinen erhabeneren Beruf gibt als Botschafter Gottes, Diener der Versöhnung, Hirte der Seelen, Prediger des heiligen Evangeliums Christi zu sein. Ich bin durch ganz Brasilien gereist, habe in anderen Ländern gepredigt. Ich habe die gute Nachricht des Evangeliums bis in die entlegensten Winkel unseres Landes und der Welt gebracht. Keine irdische Freude, die die Welt demjenigen bieten kann, der ein Prediger des Evangeliums Jesu Christi ist, ist mit der Freude vergleichbar, Prediger des Evangeliums zu sein.
Jemand hat einmal gesagt, dass, wenn das Ideal größer ist als das Leben, es sich lohnt, sein Leben für das Ideal zu geben. Charles Studd, ein Spitzensportler in England, der sich im 19. Jahrhundert zu Christus bekehrte, ließ den Ruhm der Sportwelt hinter sich, um sein Leben der Missionsarbeit in Indien und Afrika zu widmen. Als ihn jemand fragte, ob das, was er tat, nicht ein zu großes Opfer sei, antwortete er: „Wenn Jesus Christus Gott ist und er sein Leben für mich gegeben hat, gibt es kein zu großes Opfer, das ich für ihn bringen kann.” Ich stimme mit dem Märtyrer in Südamerika, dem Missionar Jim Elliot, überein, wenn er sagt: „Der ist kein Narr, der hingibt, was er nicht behalten kann, um zu gewinnen, was er nicht verlieren kann.”
Betrachten wir einige wichtige Wahrheiten, die mit Jeremia 3,15 im Zusammenhang stehen.
GOTT gibt seiner Gemeinde Hirten
Es gibt zwei Wahrheiten, die ich hier hervorheben möchte. Erstens: Die göttliche Wahl beruht nicht auf unseren Fähigkeiten, sondern auf Gnade. Wir sehen das an der Berufung Jeremias. Dieser war noch sehr jung, als er in den Prophetendienst berufen wurde (vgl. Jeremia 1,6). Er sah sich nicht im Stande, zum Volk zu reden. Es war Gott, der ihm das Wort in den Mund legte. Jona war ein Mann, der Schwierigkeiten hatte, seinen Feinden zu vergeben, und Gott rief ihn und sandte ihn, gegen seinen Willen, um sein Werk zu tun (vgl. Jona 1,2; 3,1.2). Paulus betrachtete sich als den kleinsten der Apostel, den geringsten der Heiligen und den Sündigsten von allen, aber Gott stellte ihn an den Platz der höchsten Ehre in der Geschichte der Gemeinde. Unsere Wahl für den Dienst beruht nicht auf Verdiensten, sondern auf Gnade. Das Tor zum Dienst ist die Demut. Kein Hirte kann mit Hochmut und Stolz wirksam das Werk Gottes tun. Stolz geht dem Verderben voraus. Eitelkeit ist die Vorstufe zum Scheitern. Alle Ehre, die nicht Gott gegeben wird, ist eitle Ehre. Wir sind nicht im Dienst, weil wir jemand sind, wir sind im Dienst, um den Einzigen zu verkünden, der würdig ist, alle Ehre, alle Herrlichkeit und alles Lob zu empfangen.
Zweitens ist es Gott, der den Gliedern des Leibes ihren Platz zuweist, wie es ihm gefällt. Alle Erlösten haben Gaben und Aufgaben im Leib, aber nicht alle sind für das Hirtenamt berufen (vgl. Epheser 4,11). Nicht wir entscheiden, sondern Gott. Wer für diese erhabene Arbeit berufen ist, kann nicht stolz sein, denn er hat nichts, was er nicht empfangen hat. Eine gläubige Person darf nicht in den Pastorendienst treten, ohne speziell zu diesem Dienst berufen worden zu sein, noch sollte eine berufene Person diesen Ruf ablehnen.
Viele Menschen denken irrtümlicherweise, dass der Pastor einen herausragenden Platz in der Hierarchie der Gemeinde einnimmt. Aber in der Gemeinde Gottes gibt es keine Hierarchie. Der Pastor ist nicht höher als das kleinste Mitglied der Gemeinde. Er ist ein Diener Christi und Diener der Gemeinde. Diejenigen, die in den Dienst treten und Gottes Herde mit unangemessener Strenge behandeln und meinen, sie hätten die Herrschaft über Gottes Schafe, befinden sich in einem gefährlichen Irrtum (vgl. 1. Petrus 5,1-4).
Wir haben mit großer Traurigkeit gesehen, wie manche Pastoren versuchen, sich selbst abzuschirmen, indem sie in einem Elfenbeinturm leben, jenseits von Gut und Böse. Ermahnungen und Korrekturen durch Gemeindeglieder oder sogar andere Pastoren akzeptieren sie nicht. Sie verteidigen sich inbrünstig und sagen, dass niemand den „Gesalbten des Herrn“ antasten dürfe. Sie reißen den Text aus seinem Zusammenhang und benutzen das Wort Gottes nur, um sich selbst zu schützen oder ihre Sünden zu verbergen. Die pastorale Leiterschaft ist lediglich eine Position. Der Pastor ist nicht wichtiger als jede andere Person in der Herde. So wie der Ehemann das Haupt der Ehefrau ist, aber nicht wichtiger als die Ehefrau. So wie Gott das Haupt Christi, aber nicht größer als Christus ist. In gleicher Weise ist auch die Leiterschaft des Pastors eine funktionelle Leiterschaft. Der Hirte und die Gemeindeglieder stehen alle auf der gleichen Ebene; alle sind Diener Christi und sollten sich als solche gegenseitig ermahnen.
Der Apostel Paulus sagte zu den Ältesten von Ephesus (Apostelgeschichte 20,24): „Aber auf das alles nehme ich keine Rücksicht; mein Leben ist mir auch selbst nicht teuer, wenn es gilt, meinen Lauf mit Freuden zu vollenden und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesus empfangen habe, nämlich das Evangelium der Gnade Gottes zu bezeugen.” Der Dienst ist keine Aufgabe, auf die wir uns aus eigener Initiative stürzen, er ist ein Auftrag, den wir von Jesus bekommen. Er ist kein Aufruf zur Bequemlichkeit, sondern eine Aufforderung zur Selbstverleugnung. Er ist nicht das Streben nach Status und Macht, sondern der Wunsch nach einem anstrengenden, aber vorzüglichen Werk (vgl. 1. Timotheus 3,1).
Ashbell Green Simonton war das neunte Kind einer gottesfürchtigen Familie. Sein Vater war ein Arzt, und zwei Legislaturperioden lang Abgeordneter der Kammer. Simonton war der Jüngste unter seinen Geschwistern. In seiner Kindheit weihten ihn seine Eltern dem Herrn, und zu seiner Zeit berief ihn Gott in den Dienst. Er trat in das Princeton Seminary in New Jersey, USA, ein. Er war ein brillanter Student. Als er bei seinem Abschluss eine Predigt von Charles Hodge hörte, wurde er von Gott aufgefordert, sich der Missionsarbeit zu widmen. Gott neigte sein Herz nach Brasilien. Einige Leute versuchten, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten, indem sie ihm sagten, dass es verrückt sei, seine Familie, sein Land und so vielversprechende Angebote der Kirche seines Landes aufzugeben, um in ein so armes und von so vielen epidemischen Krankheiten betroffenes Land zu gehen. Simonton antwortete daraufhin: „Der sicherste Ort, an dem ein Mensch sein kann, wenn auch umgeben von Bedrohungen und Gefahren, ist im Zentrum des Willens Gottes.“ Dieser junge Mann verließ im Alter von 26 Jahren sein Heimatland und ging nach Brasilien. Tapfer und mutig arbeitete er und hatte nach einer äußerst kurzen Zeitspanne von nur acht Jahren die Presbyterianische Kirche von Brasilien organisiert, eine Glaubensgemeinschaft, die bis heute der treuen Predigt der Heiligen Schriften verschrieben ist.
Gott gibt seiner Gemeinde HIRTEN
Gott ruft nicht nur, sondern er legt auch den Auftrag fest. Was ist ein Hirte? Was bedeutet es, eine Herde zu weiden? Zuallererst ist es die Aufgabe eines Hirten, die Herde Gottes mit dem Wort Gottes zu versorgen. Es ist nicht unsere Aufgabe, für die Nahrung zu sorgen, sondern die Nahrung anzubieten. Die Nahrung ist das Wort. Dem Volk Gottes das Wort vorzuenthalten, ist eine schwere Sünde. Viele Gemeinden sind heute krank, weil sie sich von giftigen Kräutern ernähren.1 Da ist der Tod im Topf! Es gibt viele Irrlehren, die auf den evangelikalen Kanzeln kursieren. Es gibt viele Neuerungen, die dem Wort Gottes fremd sind, die in die Liturgie, in die Botschaft und in die Musik eindringen und am Ende das geistliche Leben der Gemeinde schwächen. Es gibt Gemeinden, die hungern, weil sie die nahrhafte Speise des Wortes nicht erhalten. Ihre Pastoren geben sich nicht dem Wort hin. Sie studieren das Wort nicht und sinnen nicht darüber nach. Sie predigen aus der Leere ihres Verstandes und der Täuschung ihres Herzens. Es gibt immer noch Gemeinden, die ausgelaugt und unterernährt sind, weil sie nicht ausreichend Nahrung erhalten. Der Hirte muss ein unermüdlicher Student des Wortes Gottes sein. Er muss jeden Tag reichlich Nahrung für seine Herde haben. Ein hungriges Schaf wird unruhig und neigt dazu, sich an gefährliche Stellen zu verirren. Es gibt auch Gemeinden, die sich mit der Spreu menschlicher Traditionen füllen, statt die reiche göttliche Versorgung zu bekommen. Wir brauchen dringend eine Erweckung auf den Kanzeln.
Eine weitere Aufgabe des Hirten ist es, die Herde Gottes vor den Angriffen reißender Wölfe zu schützen. Jesus warnte vor der Tatsache, dass der Teufel die Söhne des Bösen dann in die Gemeinde einschleust, wenn diese schläft (vgl. Matthäus 13,24.25). Paulus hält die Hirten der Gemeinde zur Wachsamkeit an, damit die reißenden Wölfe nicht in die Herde eindringen (vgl. Apostelgeschichte 20,29.30). Irrlehren sind die Zähne des Wolfes. Wenn die Kirche aufhört, die apostolische Lehre zu wahren, gelangen die neuesten Waren des Glaubensmarktes in die Gemeinde, und in diesem Zuge kommen oft Praktiken, die der Heiligen Schrift fremd sind. Die Hirten müssen die Literatur, die in die Gemeinde kommt, daraufhin überprüfen, ob sie dem Wort entspricht. Sie müssen die Texte der Lieder, die in der Gemeinde gesungen werden, analysieren, um nicht lehrmäßigen Missverständnissen zu verfallen. Gemeindeleiter dürfen die Kanzel der Gemeinde nicht Personen überlassen, von denen bekannt ist, dass sie sich nicht der Treue der Schrift gegenüber verpflichtet haben.
Einmal, an einem Sonntagmorgen, predigte ich in der Kirche, der ich seit über zwanzig Jahren vorstehe, als eine auffällig gekleidete Frau hereinkam und sich in den vorderen Teil der Kirche, in die dritte Bank setzte. Während ich predigte, ließ sie mir einen kleinen Zettel aushändigen: „Der Heilige Geist hat mich heute hierher gesandt, weil ich eine Botschaft von Gott für diese Gemeinde zu überbringen habe.“ Ich las die Notiz, steckte sie in meine Tasche und beendete meine Botschaft, erteilte den Segen und ging zur Tür, um die Gläubigen zu begrüßen. Diese Frau, die nun wütend war, konfrontierte mich an der Tür der Kirche und sagte mir, dass ich den Heiligen Geist daran gehindert hätte, an diesem Morgen zur Gemeinde zu sprechen. Ich antwortete ihr: „Der Heilige Geist hat zur Gemeinde gesprochen, Sie haben nicht zugehört. Ich habe heute Morgen treu das Wort Gottes gepredigt.” Dann sagte ich noch: „Ich kenne Sie nicht, ich weiß nicht, woher Sie kommen, noch, wohin Sie gehen. Ich weiß nicht, was Sie glauben, und ich habe Verantwortung für diese Herde, deswegen kann ich die Kanzel nicht jemandem überlassen, den ich nicht kenne.” Die Frau ging wütend davon und ich erfuhr, dass sie in dieser Woche in einigen Gemeinden große Spannungen verursachte, indem sie auf verschiedene Kanzeln stieg und das Gift gefährlicher Irrlehren verbreitete.
Drittens bedeutet das Hirtenamt, Freude am „Geruch der Schafe” zu finden. Die Aufgabe des Hirten ist es zu weiden. Das Schaf ist ein Tier, das nicht auf sich selbst aufpassen kann. Wenn es sich von der Herde entfernt, wird es eine leichte Beute der Räuber. Das Schaf ist kurzsichtig und kann die rutschigen und gefährlichen Stellen nicht deutlich sehen. Das Schaf braucht einen Hirten und der Hirte muss in der Nähe des Schafes sein, um ihm in seinen Bedürfnissen zu helfen. Es ist der Hirte, der die hungrigen Schafe zu grünen Weiden und die durstigen Schafe zu ruhigen Wassern führt. Es ist der Hirte, der mit den Schafen durch die dunklen Täler geht und ihnen Sicherheit gibt. Es ist der Hirte, der das schwache Schaf in seinen Armen trägt und das in den Abgrund gefallene rettet. Es ist der Hirte, der das bockige Schaf zurechtweist, welches das Leben der Herde in Gefahr bringt.
Viertens ist es die Aufgabe des Hirten, die Schafe zu ermutigen. Der Hirtendienst ist sehr umfangreich. Der Hirte lehrt, weidet, führt, schützt, erzieht, stärkt, ermutigt und tröstet die Schafe. Es ist nicht seine Aufgabe, das zerbrochene Schilfrohr zu zerbrechen oder den glimmenden Docht zu löschen (vgl. Matthäus 12,20). Es ist nicht seine Aufgabe, die Schafe einzuschüchtern oder sie wegen ihrer Fehler zu schlagen. Der Hirte handelt mit der Beharrlichkeit eines Vaters (vgl. 1. Korinther 4,14-21) und der Sanftheit einer Mutter (vgl. 1. Thessalonicher 2,7). Der Hirte benutzt die Rute der Zucht, aber auch den Hirtenstab der Rettung. Der Hirte ist jemand, der bereit ist, das Schaf in seinen Armen zu tragen und sein Leben dafür zu geben. Er muss nicht nur Freude daran haben, zu seiner Herde zu predigen, sondern auch Freude an der Herde haben, zu der er predigt. Seine Aufgabe ist es, ein Ermutiger derer zu sein, die auf dem Weg ins himmlische Kanaan sind!
Gott gibt Hirten nach seinem Herzen
Der Hirte nach dem Herzen Gottes ist sich dessen bewusst, dass Gott ihn berufen hat, Christus zu lieben und die Schafe in Demut zu weiden. Der Hirte ist nicht der Herr der Herde. Gott gibt uns nie Macht, indem er uns das Recht überträgt, die Gemeinde zu besitzen. Die Kirche gehört nicht uns, sondern Gott. Die Schafe sind nicht unser, sondern Gottes Eigentum.
Das Pastorenamt ist keine privilegierte Position, sondern eine Plattform des Dienstes. Es gibt viele Pastoren, die sich wie Gutsbesitzer verhalten. Sie sind die Besitzer der Schafe, nicht ihre Hirten. Diese Hirten schauen darauf, was sie an den Schafen verdienen können, nicht darauf, wie sie den Schafen dienen können. Diese Hirten suchen den Gewinn, nicht das Wohl der Schafe. Statt das Leben für die Schafe zu geben, wollen sie, dass die Schafe ihr Leben für sie geben. Es gibt andere Hirten, die wie Mietlinge erscheinen. Das sind die betrügerischen Arbeiter, die die Schafe ausbeuten und für sich ausnutzen. Anstatt ihre Zeit, ihr Herz und ihr Leben in das Leben der Schafe zu investieren, versuchen sie, alles aus den Schafen herauszuholen, was sie können. Sie sind Hirten ihrer selbst, nicht Hirten der Herde Gottes.
Der Hirte nach dem Herzen Gottes weidet die Herde unter dem Stab des Oberhirten. Kein Hirte hütet die Herde Gottes treu, wenn er sein Hirtenamt nicht unter dem Stab Christi ausübt und dem Volk Gottes eine gesunde Lehre vermittelt. Die Weisung der Wahrheit muss in seinem Mund sein. Die treue Lehre der Heiligen Schrift muss die Richtschnur seines Dienstes sein. Wir sind nicht berufen, unsere eigenen Ideale zu predigen, sondern das Wort Gottes zu verkünden!
Die Vortrefflichkeit, mit der der Hirtendienst verrichtet werden sollte
Wir haben zwei wichtige Wahrheiten hervorgehoben: Erstens muss ein Hirte die Herde Gottes mit Erkenntnis weiden. Er muss ein Gelehrter sein. Er muss das Wort kennen, sich von dem Wort ernähren und das Wort predigen. Paulus sagt, dass diejenigen, die sich im Wort mühen, einer doppelten Ehre würdig sind (1. Timotheus 5,17). Wir müssen bis zur Erschöpfung studieren. Wir müssen die Goldminen der Wahrheit freilegen und den unergründlichen Reichtum des Evangeliums Christi dem Volk Gottes anbieten. Wir sind Verwalter: Wir müssen dem Volk Gottes ein appetitliches und ausgewogenes Menü anbieten.
Die weltlichen Lehrstühle beschämen die Kanzeln, denn obwohl sie eine menschliche, irdische, zeitliche Botschaft verkünden, bereiten sie sich gründlicher und hingegebener darauf vor, als die Prediger auf den Kanzeln, und diese predigen eine göttliche, himmlische, ewige Botschaft. Wir müssen uns als bewährte Mitarbeiter darstellen. Wir müssen bei der Verrichtung des Dienstes einen überragenden Standard an den Tag legen. Auch muss der Hirte über ein großes Allgemeinwissen verfügen. Er sollte auf dem neuesten Stand sein. Er muss den Text und den Kontext lesen. Die Bibel und die Menschen lesen. Er muss die Bibel in der einen und die Zeitung in der anderen Hand haben. Der Hirte darf kein welt- und gesellschaftsfremder Mann sein. Er muss ein genauer Kenner seiner Zeit sein (vgl. 1. Chronik 12,32). John Stott sagt, dass die Predigt, die der Pastor hält, eine Brücke zwischen zwei Welten sein müsse: dem alten Text und dem zeitgenössischen Hörer. Der Hirte muss beide Welten kennen: sowohl den Text als auch seine Zuhörer.
Zweitens muss ein Hirte die Herde Gottes mit Verstand weiden. Das bedeutet, Gottes Herde mit Weisheit und Feingefühl zu weiden. Weisheit bedeutet, Wissen für den besten Zweck einzusetzen. Wir müssen die Schafe Gottes mit Zärtlichkeit behandeln. Paulus sagt, dass der Hirte wie ein Vater und auch wie eine Mutter ist (vgl. 1. Thessalonicher 2,7-12). Er weint mit denen, die weinen, und freut sich mit denen, die fröhlich sind. Der Hirte behandelt jedes Schaf entsprechend seiner Bedürfnisse, seinem Temperament, seiner besonderen Wesensart. Er ist sanft zu den Kindern, wie es auch Jesus war, der sie in seine Arme nahm. Er begegnet den Gleichaltrigen wie Brüdern und den Älteren wie Vätern. Es ist eine Sache, das Predigen zu lieben, aber es ist eine andere Sache, die Menschen zu lieben, zu denen wir predigen. Wir müssen das Predigen lieben und auch die Menschen lieben, zu denen wir predigen.
Fußnoten
- Siehe das Buch dieses Autors: Morte na panela, erschienen bei Editorial Hagnos, 2007, das sich speziell mit diesem Thema beschäftigt. ↩︎